Dass das Vereinsgesetz einer Minderheit von 10% gewisse Rechte gibt, wissen wir. (Nur zur Erinnerung die zwei wichtigsten: Vom Leitungsorgan die Einberufung einer Mitgliederversammlung verlangen; Auskunft über Tätigkeit und finanzielle Gebarung des Vereins verlangen.) (Und noch etwas zur Erinnerung: Das gesetzliche Minderheitenrecht bezieht sich auf die Grundgesamtheit aller Mitglieder, also nicht, wie man es in manchen Vereinsstatuten findet, nur auf die stimmberechtigten oder ordentlichen Mitglieder. Die kann man natürlich in den Statuten noch dazu nehmen.) Aber wie findet man diese 10% der Mitglieder? Anders gefragt: Hat ein Vereinsmitglied Anspruch auf die Herausgabe eines vollständigen Mitgliederverzeichnisses samt Adressen und, sofern ein solcher Anspruch besteht, wie setzt man ihn durch?
Zu dieser Frage gibt es in Österreich keine oberstgerichtliche Rechtsprechung. In der österreichischen Literatur wird die Frage sehr eindeutig im Sinn eines solchen Herausgabeanspruches beantwortet. Auch die deutsche Literatur spricht sich klar für ein entsprechendes Informationsrecht aus. Der deutsche Bundesgerichtshof hat sich ebenfalls klar für den Anspruch eines Vereinsmitglieds auf Herausgabe einer vollständigen Liste der in der Mitgliederversammlung stimmberechtigten Mitglieder (Namen und Adressen) ausgesprochen.
Prinzipiell steht es den Vereinen frei, einen entsprechenden Anspruch auf Herausgabe eines Mitgliederverzeichnisses in den Statuten vorzusehen. Im Vereinsgesetz ist ein solcher Anspruch nicht geregelt. Vielleicht hat es der Gesetzgeber schlicht übersehen, eine solche Regelung im Gesetz zu verankern. Diese Lücke lässt sich durch eine Analogie zu § 14 Genossenschaftsgesetz (also durch den Rückgriff auf eine ähnliche Regelung in einem anderen Gesetz) schließen. Was für die Genossenschaft gilt, muss für den in dieser Hinsicht ähnlichen Verein genauso gelten. Der Anspruch darauf, eine Mitgliederliste samt Anschriften zu erhalten, ist eine logische Konsequenz des Minderheitenrechts der Vereinsmitglieder. Dieses liefe leer, wenn das einzelne Mitglied nicht erfahren würde, wer die übrigen Mitglieder sind.
Und was sagt der Datenschutz? Die Übermittlung von Daten ist gemäß § 7 Abs 2 Datenschutzgesetz (DSG) unter drei Voraussetzungen zulässig: 1. Die Daten müssen aus einer zulässigen Datenanwendung stammen, 2. der Empfänger muss dem Übermittelnden seine ausreichende rechtliche Befugnis – soweit diese nicht außer Zweifel steht – im Hinblick auf den Übermittlungszweck glaubhaft machen und 3. Zweck und Inhalt der Übermittlung dürfen die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen nicht verletzen. Dass es sich bei der Weitergabe von Mitgliederdaten um eine Datenübermittlung iSd § 4 Z 12 DSG handelt und die Führung eines Mitgliederverzeichnisses eine zulässige Datenanwendung darstellt, steht außer Streit.
Ebenso besteht kein Zweifel daran, dass die Durchsetzung von Minderheitsrechten eine rechtliche Befugnis iSd § 7 Abs. 2 Z 2 DSG darstellt. Bleibt letztlich die Frage, ob der Zweck und Inhalt der Übermittlung die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen verletzen. Dabei ist auf den konkreten Zweck abzustellen. Bei Vereinigungen mit politischem, philosophischem, religiösem oder gewerkschaftlichem Tätigkeitszweck dürfen Daten, die Rückschlüsse auf die politische Meinung oder weltanschauliche Überzeugung zulassen, nur mit Zustimmung der Betroffenen übermittelt werden (§ 9 Abs. 13 DSG) – in diesen Fällen überwiegt per se das Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Vereinsmitglieder. In allen anderen Fällen wohl nicht.
Die Vereinsmitglieder sind mit ihrem Beitritt zum Verein in eine gewollte Rechtsgemeinschaft zu anderen, ihnen weitgehend unbekannten Mitgliedern getreten –also in die Vereinsöffentlichkeit – und haben es daher hinzunehmen, dass andere Vereinsmitglieder in berechtigter Verfolgung vereinspolitischer Ziele an sie herantreten. Nur bei einem Verein, bei dem das Anonymitätsinteresse geradezu aus dem Vereinszweck hervorgeht und dessen Mitglieder gar nicht beitreten würden, müssten sie mit der Bekanntgabe ihrer Daten rechnen, ist die Mitgliedschaft als schutzwürdiges Datum iSd § 9 Abs. 13 DSG zu betrachten.
Gemäß § 8 Abs 1 Z 4 DSG sind schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen dann nicht verletzt, wenn „überwiegende berechtigte Interessen […] eines Dritten die Verwendung erfordern.“ Der manchmal von Vereinsvorständen fantasierte Fall, dass eine dem Verein negativ gesinnte Person nur deswegen Vereinsmitglied werden würde, um einen Anspruch auf die Herausgabe der Mitgliederliste zu bekommen, ist wohl nur hypothetisch und rechtfertigt nicht die pauschale Weigerung der Weitergabe von Mitgliederdaten. Wenn tatsächlich der Verdacht besteht, dass die Daten missbraucht würden, kann der Vorstand selbstverständlich die Auskunft verweigern – insofern besteht sogar eine Prüfpflicht des Auskunftsverlangens durch den Vorstand.
Der Anspruch ist also grundsätzlich gegeben – und wie setzt man ihn durch? Wenn das Leitungsorgan des Vereins die Herausgabe ungerechtfertigt verweigert, muss zunächst ein Schieds- bzw. Schlichtungsverfahren eingeleitet werden. Gegner ist in diesem Fall der Verein. Sofern das Schiedsgericht nicht früher zu einer Lösung gelangt ist, steht nach spätestens sechs Monaten ab Anrufung des Schiedsgerichts der Weg zu den ordentlichen Gerichten offen. Dann kann der Anspruch auf Herausgabe des Mitgliederverzeichnisses mittels Klage geltend gemacht werden.