Nachdem einem König nach langem Warten endlich eine Tochter geboren ward, veranstaltete er aus Freude darüber ein prächtiges Fest. Er lud dazu auch die weisen Frauen seines Reichs ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Da aber nicht genug goldene Teller zur Verfügung standen, konnte er von den 13 Feen seines Königreichs nur 12 einladen. Die 13. Fee war darüber so erbost, dass sie dennoch erschien, und ohne jemand zu grüßen oder nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme: „Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen.“
Transportieren wir die Geschichte ins Vereinsrecht, so wäre die Fee wohl mit einer Anfechtung vorgegangen. Und was im Märchen „Dornröschen“ die 13. Fee war, sind in so manchem Verein gewisse Mitglieder, die der Vorstand aus guten (meist aber eher schlechten) Gründen nicht auf der Mitgliederversammlung sehen will, und nur selten sind‘s die goldenen Teller, an denen es hapert. Ein gezieltes (aber auch ein zufälliges) Nichteinladen macht die in der Versammlung gefassten Beschlüsse anfechtbar; und wenn gar eine so große Zahl an Mitgliedern nicht (oder nicht rechtzeitig) eingeladen wurde, dass, wie der OGH es formuliert, es sich nur mehr um ein „Zerrbild“ einer Mitgliederversammlung handelte, liegt sogar eine Nichtigkeit vor.
Unzumutbare Bedingungen
Aber es gibt auch andere Tricks, sich unliebsame Mitglieder vom Leib zu halten. In den wenigsten Vereinsstatuten ist geregelt, wo eine Mitgliederversammlung stattzufinden hat. Und so sind Vereinsvorstände schon auf die gute Idee gekommen, einen Versammlungsort auszuwählen, der für manche Mitglieder aufgrund der langen Anreise schlicht unzumutbar ist. Als Alternative zur Verfluchung der Tochter des Vereinsobmanns bietet sich auch hier die Anfechtung oder der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse oder durchgeführten Wahlen an. Nicht anders, wenn die Versammlung auf einen Zeitpunkt gelegt wird, bei dem absehbar ist, dass ein Teil der Mitglieder mit Sicherheit nicht erscheinen kann, etwa wenn der Termin auf eine Uhrzeit, die für Berufstätige nicht machbar ist, oder ohne Dringlichkeit in die stärkste Urlaubszeit gelegt wird.
Ein besonders schlauer Vereinsvorstand, der ein größeres Projekt durchdrücken wollte, beraumte die Mitgliederversammlung, in der über dieses Projekt entschieden werden sollte, auf den Zeitraum von 9:00 bis 18:00 Uhr an; man hatte also den ganzen Tag Zeit, um seine Stimme sozusagen im Vorbeigehen abzugeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass mehr als zwei, drei Mitglieder gleichzeitig anwesend sein würden, ging natürlich gegen Null. Dass so eine Erörterung des Projekts und eine Auseinandersetzung darüber sabotiert wurden, war klar. Und natürlich weiß man, dass am Ende einer ausführlichen Diskussion ein ganz anderes Ergebnis stehen kann, als man zu Beginn vermuten würde. Auch diese Trickserei schreit geradezu nach einer Nichtigkeit.
Natürlich wird es taktisch klug sein, sich schon im Vorfeld gegen eine derart manipulative Terminfestlegung zu wehren, und sei es auch nur, dass es nachher nicht heißen kann, es hätte sich ja niemand aufgeregt. Rechtlich notwendig ist dies nicht, wie es auch nicht notwendig ist, nach Beschlüssen, die man anfechten will, seinen Widerspruch zu Protokoll zu geben oder sich die Anfechtung ausdrücklich vorzubehalten.
Natürlich: Letztlich zählen bei einer Abstimmung die Stimmen. Und wenn die eine Vereinsfraktion besser kampagnisiert und mobilisiert als die andere und es schafft, sogar Karteileichen wieder zum Leben zu erwecken, dann bleibt den Verlierern wahrscheinlich wirklich nur das Fluchen. Es muss ja nicht gleich so grausam sein wie im Märchen.
Physisch oder virtuell?
Bei der Gelegenheit gleich noch eine Anmerkung: Wenn Statuten von Versammlungen und Sitzungen sprechen, dann meinen sie eine physische Zusammenkunft der Mitglieder des jeweiligen Organs. Will man eine Beschlussfassung in anderer Form (etwa per E-Mail oder im Rahmen einer virtuellen Versammlung via Skype) abhalten, so muss dies ausdrücklich in den Statuten ermöglicht werden, sonst droht – erraten! – zumindest eine Anfechtung. Allerdings: derzeit gilt ja noch bis Ende 2022 die Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Verordnung sowie das Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Gesetz, was auch jene Vereine, die derlei in den Statuten nicht stehen haben, in die praktische Lage versetzt, zumindest noch für ein paar Wochen auch virtuell tagen zu dürfen. Ob diese Regeln verlängert werden, wissen wir noch nicht, eine Verlängerung um weitere 6 Monate ist aber durchaus vorstellbar.