Die Entlastung des Leitungsorgans ist im Gesetz nicht geregelt. Sie bedeutet die Billigung der Amtsführung für die Dauer der Entlastungsperiode und den Ausspruch des Vertrauens für die alte (und vielleicht auch künftige) Geschäftsführung.
Entlastung bedeutet, dass der Verein auf die Geltendmachung allfälliger Schadenersatzansprüche gegen die entlasteten Organwalter verzichtet (wovon allerdings wiederum nur jene schädigenden Handlungen umfasst sind, die dem Verein bekannt waren oder die doch zumindest offensichtlich waren); die mangelnde Entlastung bedeutet lediglich den Nichtverzicht auf derartige Ansprüche, sonst aber nichts. Es gibt also zwei Standardsituationen, in denen nicht entlastet wird (bzw., in denen den Mitgliedern zu empfehlen ist, zu entlasten): Entweder, es ist schon offensichtlich, dass Vorstandsmitglieder Fehler gemacht haben, aus denen dem Verein Schaden entstanden ist. Oder aber, es gibt zwar einen Verdacht, der nicht von der Hand zu weisen ist, aber Genaues weiß man noch nicht, und man braucht Zeit, um dem Verdacht nachzugehen.
Eine nicht erteilte Entlastung des Leitungsorgans bedeutet nicht automatisch auch schon dessen Funktionsverlust (sofern nicht Derartiges ausdrücklich in den Statuten geregelt wäre). Eine Entlastung, die vom betreffenden Organ bzw. dessen Mitgliedern treuwidrigerweise (etwa durch Verheimlichung von Fakten, Manipulation von Urkunden etc.) bewirkt wurde, ist zumindest anfechtbar, wenn nicht gar nichtig. Bestreitet der Verein zu einem späteren Zeitpunkt die Wirksamkeit der Entlastung, so liegt es an ihm, hierfür Gründe nachzuweisen. Es wird dabei nicht genügen vorzubringen, dass dem Verein die haftungsbegründenden Verstöße des Organwalters nicht bekannt waren; er muss auch nachweisen, dass der Verstoß zum Zeitpunkt der Entlastung nicht erkennbar war. Es steht der Mitgliederversammlung frei, die Entlastung auf bestimmte Zeiträume oder bestimmte Agenden zu beschränken oder, anders herum, bestimmte Sachverhalte von der Entlastung auszunehmen. (Wenn sich also die Unklarheiten auf ein ganz bestimmtes Projekt beziehen, um man sich das noch genauer anschauen will, dann kann man dieses Projekt von der Entlastung ausnehmen.)
Und wie schaut man sich so etwas noch genauer an? Da ist die Kreativität der Mitglieder gefragt. Die Mitglieder könnten beschließen, einen Ausschuss oder eine Kommission einzusetzen, der der Vorstand alle Unterlagen im Zusammenhang mit diesem Projekt vorzulegen und für Auskünfte zur Verfügung zu stehen hat. Da müsste halt ein Mitglied einen Antrag in diese Richtung stellen und die Generalversammlung das so beschließen.
Der Mitgliederversammlung steht es auch frei, über die Entlastung des Leitungsorgans en bloc oder nach Einzelpersonen abzustimmen. Einen Anspruch auf Entlastung hat der betreffende Organwalter nicht. Allerdings kann ihn die grundlose Verweigerung der Entlastung, die natürlich ein massives Misstrauensvotum darstellt, dazu berechtigen, ein allenfalls bestehendes Dienstverhältnis vorzeitig aufzulösen. (Für einen Rücktritt von seiner vereinsrechtlichen Funktion braucht der Organwalter ja keinen Grund, das geht immer – außer zur Unzeit. Diese Einschränkung würde im Fall der grundlosen Verweigerung der Entlastung nicht zum Tragen kommen.) Da die Verweigerung der Entlastung in den Raum stellt, dass es Schadenersatzansprüche des Vereins geben könne, hat der betroffene Organwalter ein nachvollziehbares Interesse an baldiger Klärung. Er kann daher dem Verein eine angemessene Frist setzen, um sich zu deklarieren, ob nun tatsächlich Ansprüche gegen ihn erhoben werden oder nicht (wobei er jedenfalls gehalten ist, an der Aufklärung mitzuwirken); nach Ablauf dieser Frist könnte er sogar (nach Durchlaufen der vereinsinternen Schlichtungsinstanzen) eine negative Feststellungsklage auf Nichtbestehen von Schadenersatzansprüchen einbringen. Er oder sie hat daher einen Anspruch, dass gerichtlich festgestellt werde, dass es keine Schadenersatzansprüche gegen ihn oder sie gibt, aber einen aktiven Anspruch auf Entlastung hat die betroffene Person nicht.
Und jetzt drehen wir das Rad der Zeit um einige Monate, vielleicht sogar mehr als ein Jahr, vor den Zeitpunkt der Entlastung zurück. Wie soll ein Vorstandsmitglied damit umgehen, wenn eine wirtschaftlich heikle Entscheidung zu treffen ist, die möglicherweise risikobehaftet ist? Am allerwichtigsten: Alle Information, die für eine solide Entscheidung erforderlich ist, vielleicht auch Expertenrat (Steuerberater, Rechtsanwalt etc.) einholen und all das dokumentieren. Damit kann der Vorstand natürlich auch in die Mitgliederversammlung gehen (was er aber, außer die Statuten sehen das für bestimmte Fälle ausdrücklich vor, nicht unbedingt muss) und sich für seine beabsichtigte Entscheidung den Segen holen. Damit eine solche Zustimmung der Mitgliederversammlung aber überhaupt irgendetwas wert ist, muss der Vorstand natürlich alle Karten auf den Tisch legen, darf also die Situation nicht schönreden. Er muss jedenfalls auch über allfällige Nachteile, sowie über finanzielle und sonstige Risiken schonungslos aufklären. Denn eine Zustimmung der Mitgliederversammlung auf Basis unvollständiger Informationen wäre nichts wert und würde vor späteren Schadenersatzansprüchen des Vereins nicht schützen.
Hat aber der Vorstand alles getan, was man von einer vernünftigen und umsichtigen Geschäftsleitung in einer solchen Situation erwarten kann, und geht die Sache trotzdem schief, dann war das eben das Risiko, das mit jeder unternehmerischen Tätigkeit im weitesten Sinn verbunden ist. Eine Automatik von Schadenersatzansprüchen wird daraus nicht abzuleiten sein. In der Fachterminologie nennt man das die Business Judgement Rule.
Zusammenfassend: welcher Ratschlag lässt sich aus alldem für einen Vereinsvorstand ableiten? Dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren! Immer, wenn eine nicht ganz alltägliche Entscheidung zu treffen ist, sind die Grundlagen für diese Entscheidung schriftlich (und zwar so, dass man sie auch später noch versteht) festzuhalten, das gilt natürlich auch für eingeholten Expertenrat (erfolgte dieser nur telefonisch, dann zumindest einen Aktenvermerk darüber verfassen), und die Ergebnisse der Diskussion im Vorstand sind ebenfalls festzuhalten.