Wien, 9. Juni 2022. Angesichts der wachsenden Not in der Ukraine ist die Hilfs- und Spendenbereitschaft in Österreich derzeit auf einem Höchststand. Der überwiegende Anteil aller Spenden entstammt kleinen Beträgen aus der Mittelschicht. Im internationalen Vergleich sind Großspenden Vermögender hierzulande eher selten anzutreffen. Was es braucht, um eine starke Philanthropie-Kultur auch in Österreich zu etablieren, darüber sprechen internationale Experten bei der Philanthropie-Tagung des Fundraising Verband Austria am 14. Juni in Wien.
Das internationale Spendenwesen entwickelt sich seit Jahren dahin, dass weniger Spendende kontinuierlich höhere Beträge geben. Insbesondere das Engagement Vermögender steigt in vielen Ländern seit geraumer Zeit an. In Österreich wurden 2021 insgesamt 850 Mio. Euro gespendet. Das entspricht 90,50 Euro pro Einwohner. In der Schweiz und Deutschland liegt dieser Schnitt mit 222 Euro bzw. 126 Euro deutlich höher. Einer der Hauptgründe dafür ist eine wesentlich stärkere Beteiligung von vermögenden Menschen, die sich über eigene Stiftungen engagieren. Während in Deutschland rund 50% der Gesamtspenden von der Bevölkerungsgruppe mit dem höchsten Einkommen stammen, sind es in Österreich nur rund 5%.
Vermögen in Österreich im europäischen Spitzenfeld
Am Vermögen der Österreicher kann das verhältnismäßig geringe Engagement von Großspendern nicht liegen. Laut European Wealth Report liegt Österreich beim Pro-Kopf-Vermögen auf Platz 5 in Europa, noch vor Deutschland und Großbritannien. Konzentriert ist dieser Besitz auf die vermögendsten 10 Prozent der Bevölkerung, die über mehr als die Hälfte der Mittel verfügen. „4,5 Prozent der Österreicher sind Millionäre – ein höherer Anteil als in Deutschland. Dennoch sind für die Finanzierung gemeinnütziger Projekte hierzulande vor allem die zahlreichen Spenden unter 200 Euro ausschlaggebend, die 85 Prozent des Aufkommens ausmachen.“, so Günther Lutschinger, Geschäftsführer Fundraising Verband Austria.
Österreich als Philanthropie-Standort unattraktiv?
Dass ein breiteres Engagement der Vermögenden viel Positives für den gesamten Dritten Sektor Österreichs bewirken kann, liegt auf der Hand. Aus einer umfassenden Untersuchung der globalen Philanthropie-Standorte (Global Philanthropy Environment Index) der Indiana University, USA, geht Liechtenstein als Spitzenreiter in puncto Rahmenbedingungen für wohltätiges Engagement hervor. Auch Deutschland und die Schweiz kommen unter die Top-5. Österreich hingegen hat im internationalen Ranking an Boden verloren und liegt deutlich hinter dem westeuropäischen Schnitt. Grund dafür sind im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ausgebliebene steuerliche und rechtliche Verbesserungen. Bis heute schließt der Gesetzgeber beispielsweise Spenden für Bildungszwecke im Land von der Spendenabsetzbarkeit aus. „Aufgrund der fehlenden Weiterentwicklungen wird Österreich leider zunehmend unattraktiv als Philanthropie-Standort und verliert engagierte Persönlichkeiten, die über Stiftungen gemeinnützige Anliegen hierzulande wesentlich fördern könnten.“, mahnt Lutschinger mehr Aktivität und rasche Reformen von der Bundesregierung ein.
Bessere Rahmenbedingungen nötig
Damit Österreich zum Land der Philanthropen wird, brauche es – in Weiterentwicklung des Gemeinnützigkeitspakets 2015 – steuerliche Anreize, modernere rechtliche Rahmenbedingungen, Bewusstseinsbildung für das gesellschaftliche Veränderungspotential durch Vermögende, aber vor allem auch maßgeschneiderte Kooperationsmöglichkeiten und Vermittlungsprogramme aus dem NPO-Sektor, sind sich Experten einig. „Kernpunkt ist auch eine deutliche Stärkung des Stiftungsstandorts Österreich. Rund 750 gemeinnützig aktive Stiftungen sind hierzulande aktiv. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl fördern in Deutschland viermal so viele Stiftungen und in der Schweiz sogar zwanzigmal so viele das Gemeinwohl. Hier wollen wir aufholen.“, betont Ruth Williams, Generalsekretärin Verband für gemeinnütziges Stiften.
Internationaler Austausch bei der Philanthropie-Tagung in Wien
Am 14. Juni versammeln Fundraising Verband Austria und Verband für gemeinnütziges Stiften internationale wie nationale Experten zum Thema bei der Fachtagung „Philanthropie im Gespräch“ in der Diplomatischen Akademie Wien. Referenten wie Andreas Treichl (ERSTE Stiftung), Dagmar Bühler-Nigsch (VLGST-Vereinigung Liechtensteinischer gemeinnütziger Stiftungen und Trusts), Karin Wagner (Österreichische Nationalbank), Norbert Zimmermann (Berndorf Privatstiftung und MEGA Bildungsstiftung) und Samira Rauter (People Share Privatstiftung) erörtern dabei Ansätze und nötige Entwicklungsschritte, um eine Kultur des Gebens auch unter Österreichs Hochvermögenden zu schaffen. „Die treibende Kraft hinter dem Dritten Sektor ist es, etwas bewegen zu wollen, ganz egal ob durch Zeit-, Geld- oder Sachspenden. Diesen Gedanken gilt es, besonders unter den vermögenden Menschen des Landes stärker zu verbreiten. Ein öffentlichkeitswirksamer Philanthropie-Tag, wie in den USA, könnte zum Beispiel ein Schritt in der Bewusstseinsbildung sein.“, merkt Günther Lutschinger abschließend an.
Rückfragehinweis:
Dr. Andreas Anker, Presse Fundraising Verband,
T: 0676/4214706, E: presse@fundraising.at