Mit Vereinsstatuten ist es wie mit Verträgen: Solang alles tadellos funktioniert, schaut keiner rein. Aber wehe, es geht einmal etwas schief oder es gibt plötzlich verschiedene Ansichten darüber, wie etwas funktionieren sollte – und schon beginnt das hektische Blättern in jenem Dokument, das bis vor kurzem noch niemanden interessierte. Ein Phänomen, das nicht selten im Zusammenhang mit einer Vorstandswahl zu beobachten ist.
Die meisten Vereinsstatuten begnügen sich ja mit der fast puristischen Bestimmung: „Der Vorstand wird von der Generalversammlung bestellt.“ Das ist auch gar nicht falsch. § 3 Abs 2 Vereinsgesetz legt den Mindestinhalt von Vereinsstatuten fest, wobei Ziffer 8 vorsieht, dass die Statuten eine Regelung zur „Art der Bestellung der Vereinsorgane“ enthalten müssen. Da das Gesetz bei der Frage der Art der Bestellung des Leitungsorgans (gemeinhin Vorstand genannt) einen sehr großen Spielraum lässt, muss man, um dem Gesetz Genüge zu tun, auch nur regeln, wer den Vorstand wählt oder bestellt (meistens ist es die Generalversammlung, aber dss könnte z.B. auch eine Art Aufsichtsrat sein). Verzichtet der Verein auf jegliche weitere Regelung des Wahlvorgangs durch Statuten und/oder Wahlordnung, so sind nicht selten, jedenfalls bei größeren Vereinen, Konflikte programmiert. Dann tauchen Fragen auf wie: Listenwahlrecht oder Wahl von Einzelpersonen? Werden die Gewählten in bestimmte Funktionen gewählt oder macht sich das dann der gewählte Vorstand selbst aus, wer welche Position besetzt? Muss man Kandidaturen schon vorher ankündigen, und wenn ja, in welcher Form, in welcher Frist? Oder sind auch Spontankandidaturen möglich? Gibt es bestimmte Voraussetzungen, um überhaupt in den Vorstand gewählt werden zu können? Findet die Wahl offen oder geheim statt?
Für die Wahl eines aus mehreren Mitgliedern bestehenden Organs (etwa eines sechs-köpfigen Leitungsorgans) bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Die Wahlwerber können verhalten werden, sich zu Listen zusammenzuschließen, sodass die Wähler sich nur zwischen verschiedenen Listen zu entscheiden haben. Auch hier gibt es wieder eine Alternative: Muss in der Liste schon angegeben werden, welcher Kandidat für welche Funktion vorgesehen ist oder sollen sich die Listenmitglieder nach ihrer Wahl die Funktionen untereinander „ausschnapsen“? Die grundsätzlich andere Möglichkeit ist die Wahl von einzelnen Personen, wobei auch hier wieder die Frage ist, ob diese schon für eine bestimmte Funktion kandidieren müssen oder nur für die Mitgliedschaft im Kollegialorgan an sich.
Einiges kann man auch noch in der Generalversammlung selbst situativ entscheiden, das verlangt aber eine ziemlich souveräne Versammlungsleitung – aber auch die souveränste Versammlungsleitung wird ziemlich ins Schwitzen kommen, wenn sie einerseits mit konkurrierenden Listen und andererseits mit Einzelkandidaten konfrontiert ist. Es ist schon sehr sinnvoll, den Wahlvorgang in den Grundzügen in den Statuten vorzugeben und in einer Wahlordnung detailliert zu regeln – also beispielsweise in den Statuten die Grundentscheidung Listenwahlrecht oder Einzelwahl zu treffen. Aber auch hier kann man kreativ werden: Es spricht nichts dagegen, beispielsweise Listenwahl als den Normalfall vorzugeben und für den Fall, dass sich keine Personen finden, die sich zu Listen (oder wenigstens einer Liste) zusammenschließen, die Wahl einzelner Personen vorzusehen.
Werden Listen gewählt, so darf jeder Wahlberechtigte seine Stimme nur für eine einzige Liste abgeben. Dennoch kann es geschehen, dass zwei Listen stimmengleich abschneiden. Dann ist die Wahl so oft zu wiederholen, bis sich eine Mehrheit bildet. Werden Einzelpersonen jeweils für eine bestimmte Funktion gewählt, so ist getrennt nach Funktionen abzustimmen. Werden die Mitglieder des Kollegialorgans zwar einzeln, aber ohne Funktionszuweisung gewählt, dann gelten in der Reihenfolge der erzielten Stimmen so viele Kandidaten als gewählt, wie das Kollegialorgan Mitglieder haben soll. Auch hier gilt jeweils, dass dann, wenn eine Stimmengleichheit zu einem „Unentschieden“ führt, die Wahl entsprechend oft zu wiederholen ist. Um bei einer größeren Zahl Wahlberechtigter eine unzulässige mehrfache Stimmabgabe zu verhindern, empfiehlt sich die Vorbereitung von Stimmzetteln.
Ist ein „Wählen durch Streichen“ möglich? Wenn die Statuten vorsehen, dass die Mitglieder eines Organs so gewählt werden, dass aus einer Liste Namen zu streichen sind und eine bestimmte Anzahl von Kandidaten mit den wenigsten Streichungen als gewählt gilt, so ist dies natürlich zulässig. Eine derartige Vorgangsweise kann aber aus dem Blickwinkel der Vereinsdemokratie bedenklich sein. Die Frage ist, wer diese Liste erstellt, aus der Kandidaten hinausgestrichen werden. Da ja wohl zumindest alle ordentlichen Mitglieder im Verein das passive Wahlrecht haben werden, muss jedes Mitglied die Möglichkeit haben, auf so eine Liste zu kommen – und sei es auch nur, um wieder gestrichen zu werden.
Zu regeln ist auch, wo überhaupt die Wahlvorschläge herkommen: Wer kann einen Wahlvorschlag einbringen? (Im Sinn der Vereinsdemokratie muss dies prinzipiell allen passiv wahlberechtigten Mitgliedern offenstehen; eine Mindestunterstützungszahl für eine Liste oder einen bestimmten Wahlvorschlag kann aber vorgesehen werden).
Wann, wo und bis zu welchem Zeitpunkt muss ein Wahlvorschlag eingebracht werden? (Dies kann auch erst in der Mitgliederversammlung geschehen, und wenn die Statuten nichts anderes vorsehen, dann ist das auch so.) Es kann allerdings sinnvoll sein, den Mitgliedern schon vor der Versammlung zu ermöglichen, sich Gedanken über die Wahl zu machen. Will man das, dann sollten die Statuten vorsehen, dass Wahlvorschläge bis zu einem gewissen Termin vorliegen müssen; diese sollten dann aber auch publiziert werden. (Wahlen sind keine Anträge – die Vorschrift, dass Anträge bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vorzuliegen haben, betrifft daher nicht Wahlvorschläge und Kandidaturen!)
Müssen Kandidaten bestimmte Voraussetzungen (Mindestalter, Mindestzugehörigkeit zum Verein, bestimmte Qualifikationen) erfüllen? Die Wahl bedarf der Annahme durch die Gewählten. Eine derartige Annahmeerklärung kann für den Fall der Wahl schon vor dieser abgegeben werden. Niemand kann gegen seinen Willen zu einem Vereinsorgan gemacht werden.
Manchmal geht es sich nicht aus, eine Mitgliederversammlung so rechtzeitig stattfinden zu lassen, dass zwischen dem Ablauf der Funktionsperiode des einen Vorstands und dem Beginn seines Nachfolgers kein „Loch“ entsteht. Handelt es sich nur um ein paar Tage, so ist das im Allgemeinen kein Beinbruch. Die Handlungsfähigkeit des Vereins kann allenfalls durch Vollmachtserteilung überbrückt werden. Aber wie auch immer: Zu den Pflichten des abgelaufenen bzw. abgetretenem Vorstands gehört es jedenfalls, für das Stattfinden einer Mitgliederversammlung zu sorgen, die einen neuen Vorstand wählt. Auch wenn das Mandat des Vorstands schon abgelaufen ist, kann er das noch (und muss es auch, um Nachteile vom Verein abzuwenden). Da er aber nicht mehr geschäftsführungsbefugt ist, darf er genaugenommen nur mehr einen einzigen Tagesordnungspunkt, eben die Neuwahl, vorgeben.